Page 5 - Basler Woche Grossbasel - KW 30 - 2021
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DIENSTAG, 27. JULI 2021 IM FOKUS SEITE 5
Der «gesellschaftliche Gewinn» ist nicht zu unterschätzen
Die Eventgastronomie konnte diesen Sommer aufatmen – aber für wie lange?
Die Gastronomiebranche – und speziell die Eventgastrono-
mie – hat während der ersten Sommerwochen und besonders
intensiv während den Fussball Europameisterschaften von
den Öffnungsschritten profitiert. Das war auch dringend nö-
tig, um viele Betriebe der Branche vor einem Konkurs zu ret-
ten. Nun, da die Zahlen wieder steigen, fängt das grosse Zit-
tern erneut an. Wir haben ein kurzes Fazit gezogen mit Urs
Kohler, CEO des Zic Zac in Basel/Allschwil und die Prognosen
von Gastrosuisse und der Konjunkturforschungsstelle KOF
zusammen getragen.
Der Basler Epidemiologe, Mala- terkommen, jede und jeder ein-
riaforscher und Public-Health- fach sein Wissen und Erfahrun-
Experte Marcel Tanner (und gen einbringt und wir miteinan-
anfangs in der Corona-Task- der lernen und damit Verbesse-
force des Bundes impliziert) rungen erzielen, dann wird alles
sagte in einem grossen Inter- sehr viel besser.»
view an dieser Stelle: «Massnah-
men gegen Pandemien müssen Diese Aussagen spricht der Gas-
sein, aber der soziogesellschaft- tronomiebranche aus dem Her-
liche Aspekt darf dabei nie ver- zen. Für Gastrosuisse ist die Si-
gessen werden.» Was er damit tuation vergleichbar zum Vor-
meint: Öffnungsschritte sind jahr, aber dank der Impfung
nicht nur aus wirtschaftlicher sei die Ausgangslage sogar bes-
Sicht wichtig, sondern beruhi- ser. Auch wenn man bald wie-
gen auch die Bevölkerung und der eine Tagesquote von 1000 Bild: Shutterstock
verhindern eine Gewöhnung an Ansteckungen pro Tag zu er- Mitfiebern in kleinen und grösseren Gruppen. Der gesellschaftliche Aspekt ist nicht zu unterschätzen.
eine gewisse Entfremdung. Mar- warten habe wegen der Delta-
cel Tanner weiter: «Wichtig ist Variante. Damit die Wirtschaft und Gastronomiebetriebe er- Nach dem Sieg der Schweiz
das Abwägen der Lockerungen. und das gesellschaftliche Leben lebten einen starken Anstieg gegen die Türkei hat sich dies
Denn man muss den Menschen im Herbst nicht wieder einge- der Gästezahlen. Diese ka- aber schlagartig geändert. Das
auch Perspektiven geben. Klar schränkt werden, gelte es jetzt men aber vorwiegend aus der Interesse und die Euphorie war
ist, dass das generelle Risiko für besonders im Sommer die nöti- Schweiz, während bei den Gäs- sofort wieder spürbar. Die wich-
eine Infektion jetzt noch immer gen Vorkehrungen zu treffen. ten aus den benachbarten euro- tigsten Spiele, auch anderer Na-
päischen Ländern ein beträcht- tionen, waren ab diesem Zeit-
licher Rückgang verzeichnet punkt praktisch immer ausge-
wurde und die Gäste aus den bucht. Das war für uns nicht un-
Fernmärkten praktisch ausblie- wichtig.
ben. Insgesamt lag die Anzahl
der Logiernächte in der Som- Hat das Europameisterschafts-
mersaison 2020 um neun Millio- turnier die Gastrobetriebe ge-
nen (40 Prozent) tiefer als 2019. wissermassen «gerettet»?
Bei den Inländern, die traditio- U. Kohler: Für viele Gastrono-
nell etwa die Hälfte der Über- men, auch für uns, war es si-
nachtungszahlen generieren, Bild: zVg cher ein willkommener Zusatz-
gab es dagegen eine Zunahme Ein erfahrener Eventgastronom: umsatz, den wir im 2021 gerne
um 630’000 (6.4 Prozent). Bei Urs Kohler, CEO Zic Zac Gastro AG. genommen haben. Die Freude
den ausländischen Gästen fiel unsere Gäste, wieder gemein-
der Rückgang der Fernmärkten konsumierender Fans. Für ihn sam einen Event mitzuerleben
um 96 Prozent kräftig aus. und für viele anderen kamen und in grösseren Gruppen zu
Wir haben uns an der Quelle er- die Öffnungsschritte genau zum feiern war ausgenommen gross
kundigt, wie es einem der be- richtigen Zeitpunkt. und spürbar. Ich bin unseren
kannteren Eventgastronomen Besuchern des Public Viewings
Bild: Shutterstock
der Region in den letzten Wo- Herr Kohler, wie bilanzieren zudem auch dankbar, dass mit
Für viele war es «5 vor 12» vom Timing her: Gastrobetriebe profitierten von den chen erging. Und zwar bei Urs Sie die Euro 2020/21 aus Sicht ganz wenigen Ausnahmen, die
Öffnungsschritten des BAG. Kohler, Geschäftsführer im eines Event-Gastronomen? gegebenen Schutzkonzeptmass-
Zic Zac Basel/Allschwil. Im Zic U. Kohler: Bei den ersten Grup- nahmen akzeptiert und einge-
existiert. Aber auf der anderen Auch die Konjunkturforschungs- Zac finden sich traditionell seit penspielen war das Interesse an halten wurden.
Seite ist die Lockerung gesell- stelle KOF (Quelle: kof.ethz. Jahrzehnten anlässlich der in- den Partien eher unterdurch-
schaftlich auch ein Gewinn. Das ch/prognosen-indikatoren) teressantesten Fussballspiele schnittlich im Vergleich mit der Jedoch: Nicht alle Gastrobe-
soziale Gewebe und damit die schreibt: «Die Wertschöpfung, an Europa- oder Weltmeister- Europameisterschaft 2016 bei- triebe konnten sich auf ihre
Öffnungen tragen und prägen die mit dem Tourismus erwirt- schaftsturnieren eine Menge spielsweise. wirtschaftliche Stabilität ver-
auch die Wirtschaft und selbst- schaftet wird, betrug 2019 2.7 lassen, die man sich aufgrund
verständlich auch alle unsere Prozent der gesamtwirtschaftli- der Zeit vor der Pandemie er-
Lebenswelten. Wichtig ist und chen Wertschöpfung. Das mag arbeitet hatte. Viele waren auch
bleibt, dass man die elemen- zwar aus der Makroperspektive schon vor 2020 in einem wirt-
tarsten Regeln gegen die An- gering klingen, dennoch leistet schaftlichen Überlebenskampf.
steckung, die Distanz und Hy- der Tourismus in vielen Regio- Kein Wunder, bei dieser grossen
giene weiter einhält. Der «Pub- nen in der Schweiz einen wich- Konkurrenz.
lic Health» Kontext ist wichtig, tigen Beitrag zur Beschäftigung Die Kantone Basel-Stadt und
denn man sollte nicht Wirt- und Wertschöpfung. Durch die Baselland haben bisher knapp
schaft gegen Gesundheit abwä- raschen und umfangreichen 72 Millionen Franken an die
gen. In einem Public Healthkon- staatlichen Kompensationen Gastrobranche ausbezahlt. Die
text gehören beide Aspekte zu- zur Abfederung der Auswirkun- von den Coronamassnahmen
sammen. Meine Botschaft ist: In gen der Pandemie ist die Struk- besonders gebeutelten Restau-
einer Krise fordert man nicht, tur der Wirtschaft und auch der rants und Eventlokale waren die
in einer Krise arbeitet man zu- Tourismus- und Event-/Gastro- grössten Nutzniesser. Für viele
sammen. Ich will auch weiter- branche in der Schweiz weit- waren die letzten Sommerwo-
geben, dass man nicht zu sehr gehend intakt geblieben. Dies chen besonders wichtig für die
den Kontrast zwischen Wissen- dürfte ein nicht zu unterschät- Rettung des Betriebes.
schaft, Gesellschaft und Poli- zender Vorteil sein, wenn die
tik sehen darf. Wenn wir zu- Nachfrage wieder anzieht. Ab
dem alle ein bisschen beschei- Juni 2020 wurden die Pande- Bild: Kt. Basel-Stadt JoW, DaC
dener werden und erkennen, miemassnahmen zunehmend Jubelnde Schweizer Fussballfans beim Public Viewing: Ob es dauerhaft mal
dass wir nur miteinander wei- gelockert, und Beherbergungs- wieder so sein wird?