Page 13 - Baselland Woche Arlesheim - KW 8 - 2020
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DIENSTAG, 18. FEBRUAR 2020                                              INTERVIEW                                                                           SEITE 13





                            «Ich plädiere für ein gemeinsames Verständnis


                                     von Demokratie und Menschenrechten»





          Für den Zofinger Politikwissenschaftler Urs Vögeli sieht Demo-
          kratie und Menschenrechte viel eher in einem Verhältnis der
          gegenseitigen Optimierung. Für ihn stehen die Menschenrechte
          nicht über der Demokratie und die Demokratie steht nicht über
          den Freiheitsrechten. In seinen sogenannten Open debate zeigt
          er verschiedene Perspektiven und Zugänge zu einem Thema
          auf und lässt dabei viel Raum für interessante Zwischentöne.

          Sie haben das Forum Demokra-     Dominanz und Willkür. Ich ver-
          tie und Menschenrechte aufge-    stehe sie als Freiheitsinstru-
          baut. Was ist Ihre Motivation,  ment. Das gibt dann aber auch
          sich so zu engagieren?           ein differenziertes Bild der Men-
          Urs Vögeli: Mich haben die gros-  schenrechte. Das heisst, dass
          sen  Themen  wie  Demokratie,  nicht einfach jedes politische
          Menschenrechte und Freiheits-    Anliegen und jede Ungerechtig-
          rechte schon immer sehr inter-   keit zu einer Menschenrechts-
          essiert. Ich schreibe inzwischen  frage gemacht werden kann.
          meine Doktorarbeit an der Uni-   Ansonsten gibt es eine Inflation,
          versität Zürich dazu. Das hat  die das Konzept abwertet, an-
          mich zusätzlich motiviert ein  statt es kostbar zu halten. Nicht
          Forum auf die Beine zu stellen,  umsonst warnen inzwischen
          mit welchem wir uns fundiert  viele Professoren von einer Poli-
          und mit der interessierten Be-   tisierung oder sogar Ideologi-
          völkerung mit solchen Themen  sierung der Menschenrechte.
          auseinandersetzen können. Es  Meine Lösung ist die, dass wir
          wird in der Schweiz viel zu we-  Demokratie und Menschen-
          nig darüber debattiert. Es dür-  rechte viel eher in einem Ver-
          fen nicht nur Wissenschaftler  hältnis der gegenseitigen Opti-
          darüber sprechen. Es geht uns  mierung ansehen müssen. Sie
          alle etwas an.                   bedingen sich gegenseitig. Das
                                           hört sich abstrakt an, hat aber
          Die Schweiz ist doch aber das  sehr praktische Konsequenzen.
          Land der direkten Demokratie.  Die Menschenrechte stehen
          Nirgends wird so viel über De-   nicht über der Demokratie und
          mokratie gesprochen wie hier.  die Demokratie steht nicht über
          Was sagen Sie dazu?              den Freiheitsrechten.                                                                                                  Bild: Corinne Remund
          Natürlich haben wir Dank der                                      Experimentierfreudig: Der Zofinger Politikwissenschaftler Urs Vögel organisiert erfolgreich Podien zu aktuellen The-
          direkten Demokratie ein le-      Jetzt organisieren Sie aber  men aus Wirtschaft und Politik und probiert dabei neue Formen der Debatten aus. Hier an der Open Debat zum insti-
          bendiges und vitales demokra-    Podien und veröffentlichen vor  tutionellen Rahmenabkommen kürzlich in Aarau im Gespräch mit Alt Nationalrat Strahm.
          tisches  System  mit  vielen  De-  allem Beiträge zum EU-Rah-
          batten über unterschiedlichste  menabkommen.  Was  hat das  achten von Professor Glaser  Rahmenabkommen im Raum  rekte Demokratie und unsere
          Sachthemen.  Nichtsdestotrotz  mit Demokratie und Menschen-       kommt zum Schluss, dass das  stehen. Die Jungen hatten eine  dezentralen Strukturen wür-
          halten  sich viele Mythen,  so  rechten zu tun?                   Rahmenabkommen eigentlich  erstaunlich  kritische Haltung,  den  strapaziert,  sondern  auch
          etwa das Demokratie nur Mehr-    Das Rahmenabkommen gibt die  ein Beitritt zu einer  suprana-       welcher wir natürlich auf den  die Parlamente und das Bun-
          heitsherrschaft bedeutet oder  Möglichkeit, wieder öffentlich-    tionalen Organisation bedeutet.  Zahn gefühlt haben. Das Inte-     desgericht sind in Mitleiden-
          eben Menschenrechte sakro-       keitswirksam über unsere De-     Es ist ein Quasi-Beitritt zur EU.  resse an einer offenen Debatte  schaft gezogen. Unser ausdiffe-
          sankt sind. Ich plädiere für ein  mokratie und Freiheitsrechte  Das entspricht der Kernidee des  war gross und entsprechend leb-     renziertes und erfolgreiches Ge-
          gemeinsames und komplexes  zu debattieren. Ein Gutach-            Abkommens. Darüber müssen  haft wurde diskutiert. Wir sind  samtsystem würde sich grund-
          Verständnis von Demokratie  ten von Rechtsprofessor An-           wir reden.                        der Meinung, dass es viel mehr  legend verändern. Es würde sich
          und Menschenrechten.             dreas Glaser hat gezeigt, dass                                     solche Orte braucht, wo wir of-  vom bewährten Bottom-up-An-
                                           das Rahmenabkommen unsere  Sie organisieren mit dem Fo-            fen und ehrlich miteinander re-  satz hin  zu  einem Top-down-
          Wie meinen Sie das?              direkte Demokratie, die politi-  rum moderne Events, die nicht  den und austauschen können  Ansatz wandeln, was aus unse-
          Schauen Sie unsere direkte De-   schen  Rechte, unsere  Gewal-    sehr  klassisch  sind. Was  ist  über die Parteigrenzen hinweg,  rer Sicht ein Verlust wäre. Die
          mokratie an. Die besteht nicht  tenteilung und unseren Föde-      hier die Idee dahinter?           wo nicht immer das Ja oder  vorher erwähnten politischen
          nur aus Initiativen, Wahlen und  ralismus negativ tangiert. So-   Wir  wollen  neue  Formen  der  Nein im Zentrum stehen muss,  Stärken der Schweiz wie dezen-
          Volksabstimmungen. Für das  mit war dann für uns klar, dass  Debatten ausprobieren und  sondern das gegenseitige und  trale  Strukturen, Milizsystem
          Verständnis unserer direkten  wir uns hier einbringen wollen.  sind damit bisher sehr erfolg-       vertiefte Verständnis. Das wird  und die Anhörungskultur wür-
          Demokratie müssen wir auch  Wir müssen ohne Scheuklappen  reich. Einerseits wollen wir  sehr geschätzt.                              den zunehmend ausgehöhlt.
          den Zusammenhang mit unse-       über die Auswirkungen des Ab-    keine klassischen Pro-Contra-
          ren dezentralen Strukturen an-   kommens sachlich diskutieren.  Podien durchführen, sondern  Und doch hat Ihr Forum auch
          schauen, oder etwa unsere An-    Das ist unsere Vision. Uns geht  viel eher verschiedene Perspek-   eine eigene Position zu gewis-                        Redaktion
          hörungskultur oder das Miliz-    es auch darum, dass wir diese  tiven und Zugänge, sowie inte-      sen Fragen. Wie gehen Sie da-
          prinzip. Die Zivilgesellschaft  komplexe juristische Materie  ressante Zwischentöne zu Wort  mit um?
          kann sich über viele Wege ak-    runterbrechen und debattieren,  kommen lassen. Das ist in einer  Unser Forum hat eine parteiun-
          tiv in die Politik einbringen. So  was heisst das für jedes Indivi-  polarisierten Welt nicht immer  abhängige Trägerschaft. Nichts-
          wird unsere Demokratie  viel  duum in der Schweiz.                einfach. Andererseits wollen wir  destotrotz haben wir zu den              Zur Person
          mehr als Mehrheitsherrschaft.                                     auch immer aktiv das Publikum  Fragen die wir behandeln eine
          Es ist eigentlich eine ganz aus-  Beim Rahmenabkommen geht  in die Diskussion einbinden.  Position. Deshalb setzen wir                 Urs Vögeli studierte Politik-
          geklügelte Machtverteilung auf  es aber gemäss den Befürwor-      Hierfür wenden wir interaktive  auch  bei  den  Podien  auf  mög-    wissenschaft und Geografie
          ganz vielen Ebenen auf ganz  tern vor allem um Wirtschafts-       Moderationsmethoden an,  so  lichst neutrale Moderatoren und         an der Universität Zürich.
          viele Schultern. Unsere Demo-    politik. Sie sehen das offenbar  dass auch innerhalb des Publi-    mit dem partizipativen Ansatz      Er arbeitet an seiner Dok-
          kratie ist gegen Herrschaft per  anders.                          kums und mit dem Panel eine  steht ja dann das Publikum mit          torarbeit zum Thema De-
          se gerichtet. Sie ist ein Versuch  Die Grundidee des Abkommens  lebhafte Debatte entsteht. Das  seinen Anliegen und Fragen im          mokratie und Menschen-
          der Verwirklichung von politi-   ist die institutionelle Einbindung  ist ein gewisser Kulturwandel.  Zentrum, nicht wir.               rechte. Seit vier Jahren lei-
          scher und individueller Freiheit.  der Schweiz in die EU-Struktu-                                                                      tet er ein Politikberatungs-
                                           ren. Die EU wollte von Anfang  Letzten Herbst haben Sie auch  Und wie steht das Forum zum             büro in Bern und führt
          Und was hat das mit den Men-     an die Rechtsübernahme auto-     mit allen Jungparteien ein sol-   Rahmenabkommen?                    diverse Think Tanks, unter
          schenrechten zu tun?             matisieren, administrative und  ches Event durchgeführt. Wie  Wir sind kritisch bis ablehnend         anderem das Forum De-
          Wenn ich Demokratie so  ver-     gerichtliche Kontrollen einfüh-  waren da die Erfahrungen?         eingestellt, weil unsere Analy-    mokratie und Menschen-
          stehe, dann gibt es auch eine  ren und die Streitschlichtung  Inhaltlich war spannend zu se-        sen ergeben haben, dass aus de-
          grosse Gemeinsamkeit mit den  klären. Das läuft auf eine poli-    hen, dass mit wenigen Ausnah-     mokratiepolitischer und frei-      rechte. Er ist mit seiner Fa-
          Menschenrechten.  Sie  sind  in  tische Integration hinaus und  men von links bis rechts ein  heitsrechtlicher Sicht das Ab-           milie in Zofingen zu Hause.
          erster Linie auch gegen staatli-  hat vorerst gar nichts mit Wirt-  grosses Unbehagen vorherrscht  kommen zu grossen Einbussen
          che Herrschaft gerichtet, gegen  schaft zu tun. Das Rechtsgut-    und viele offene Fragen zum  führen würde. Nicht nur die di-
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