Page 3 - Basler Woche - KW 48 - 2015
P. 3
KOLUMNE Freitag, 27. November 2015 Seite 3 Rückblick: Baloise Session 2015 Moment mal... In der Ausgabe 2015 der Ba- liessen den Boden vibrieren, so- loise Session standen nicht dass der Sound auch noch in ei- nur grosse Namen auf dem ner weiteren Dimension in den Programm. Wer einige Kon- Körper aufgenommen wurde. zertabende besuchte konnte aber viele musikalische Stil- Faithless fuhr mit einer Rie- Ein entspannter richtungen und Leckerbissen senlichtshow auf. Die Bühne geniessen. war rasch eingenebelt und die Einkaufsbummel… Laserstrahlen und Scheinwer- Der englische Rapper James fer zauberten ein Feuerwerk Arthur und X-Factor Gewin- in allen Farben zur Musik in HHH ergattern. Chancenlos, vor dem ner eröffnete die Konzertreihe. den Saal. Die Fans belagerten Regal stehen mehr als zehn Per- In Basel zeigte er, dass er ne- die Bühne schon vor dem ers- sonen mit der gleichen Absicht. ben seinem grossen Hit «Im- ten Ton. Hunderte von Handys Es gibt sie noch, die wirklich Ich wende den Wagen, weil ich possible» auch noch ganz an- wurden gezückt, um die Sho- grossen Abenteuer, für die man es vorerst beim Brot-Regal ver- dere Töne anschlagen kann. weffekte und die Musik zu ver- keinen «Survival»-Anbieter auf- suchen will. Dabei remple ich Ihm folgte Sarah Connor, die Bilder: @ Beat Eglin ewigen. suchen und keinen Rappen be- hier jemanden an, stosse da erstmals in deutscher Sprache Candy Dulfer zahlen muss, die man zudem eine Person zu Seite und versu- sang. Sie überzeugte mit einer Zum Abschluss der Serie sang auch noch direkt vor der Haus- che meine Frau zu orten. Aber soliden Leistung, bot aber keine Randy Newman bringt man mit mit Bastian Baker ein Schwei- türe findet und praktisch jede alles was ich sehe, sind verzwei- grossen Überraschungen. seinen beiden Hits «Short Peo- zer. Mit Lederjacke und Gitarre Woche erleben kann. Und meine felt Suchende, die sich durch ple» und «Leave your Hat on» betrat der sympathische Ro- Frau hat mir dieses einmalige verstopfte Regale und zwischen Mario Biondi ist ein Sizilianer, in Verbindung. Er kam auf die mand die Bühne und startete Unterhaltungserlebnis beschert. unzähligen Einkaufswagen hin- der in englischer Sprache singt. Bühne, setzte sich ans Kla- mit ein paar Akustiksongs. Da- Sie schlug mir vor, dass wir durchquälen. Seine Musik ist soulig, jazzig und vier und legte sofort los. Mehr nach holte er seine Band um den Wocheneinkauf gemein- intensiv. Wenn man die Augen brauchte es nicht. Und wenn zu rocken. Zaghaft wurde mit- sam am Samstag über Mit- Vor mir ein altes Ehepaar, sie schliesst werden Erinnerungen er Backvocals brauchte übte er geklatscht und die ersten Fans tag erledigen. In aller Ruhe mit Rollator, er mit dem Ein- an frühere Zeiten geweckt, als diese rasch mit dem Publikum stürmen zur Bühne. Einige Pas- die Einkaufsliste abtragen, kaufswagen, aber beide über- Disco Hits aus Amerika gespielt ein. Er nimmt sich selbst nicht sagen gelangen ihm noch nicht von der Adventsstimmung in- fordert in diesem Wirrwarr. wurden. Bei Ecstasy mischt er ganz so ernst und sagt hem- ganz. Nach dem eher mässigen spirieren und zum Kauf eini- Er mit dem Einkaufszettel, sie noch einen Schuss Melancho- mungslos, was er denkt. Mittelteil kamen seine Zuga- ger Dekorations-Gegenstände ohne Ahnung, wie und wann lie in seine Stimme und zu My ben, die nicht mehr enden woll- animieren lassen. Tönt gut und sie an ihre Bananen, den Salat Girl spannte er das Publikum Rebecca Ferguson vermochte ten. Er kam wieder und wieder, wenn ich ehrlich bin, ist es oder die Wienerli herankom- für den Refrain ein, ohne vor- die Halle nicht zu füllen. Sie bot liess nochmals den Rocker raus, schon eine Weile her, dass ich men sollen. Und dann taucht her ein zu üben. Francesco de zusammen mit ihren sechs Mu- seine beiden Gitarreros rann- zusammen mit meiner Frau ei- doch tatsächlich noch diese Gregori (64) legte einen Zacken sikern eine gute Leistung, über- ten quer über die Bühne und nen entspannten Einkaufsbum- Angestellte des Einkaufscen- zu. Der italienische Cantautore zeugte aber nicht restlos. trieben sich zu Höchstleistun- mel machte. Ich ahnte ja nicht, ters auf, eine Putzmaschine vor begann mit rockigen Rhythmen gen an. Musste jetzt, wo es am dass ich mich mit dieser Zusage sich herschiebend, mit der sie und liess das Publikum kon- Schönsten war, schon alles zu auf mein bislang grösstes Aben- krampfhaft versucht, sich einen zentriert zuhören. Es brauchte Ende sein? So würde man ihm teuer meines Lebens einliess, Weg durch das Einkaufscenter nur ein paar wenige Klänge gerne noch lange zuhören. Solo das mir physisch und psychisch zu bahnen. «Wer um Himmels- von «Viva l'Italia» und die Laut- sang er noch Leonard Cohen's alles abverlangte. willen hat denn sie auf die Tour stärke im Saal stieg deutlich an. Hallelujah. Dann war endgültig geschickt», wird sie von einer De Gregori genoss seinen Ap- Schluss. Als ich mit meinem Auto in die Kundin gefragt. plaus, zu grossen Emotionswel- Tiefgarage des Einkaufscenters len kam es aber nicht. Leise traten die neun Toto-Mit- einbog schwante mir Böses. Zu Wie auch immer: Die Ange- glieder auf die Bühne. Kaum wa- spät, ich konnte die Spur nicht stellte putzt weiter (wobei das Die Holländerin Candy Dul- ren sie an den Mikrofonen und mehr wechseln und mein Auto Ergebnis Sekundenbruchteile fer trat in einem kurzen wei- Allen Toussaint Instrumenten legten sie voll los. auf einen nahegelegenen Park- später wieder annulliert ist), ssen Kleid auf und legte mit ih- Ihre Musik war mindestens eine platz lenken. Ich steckte in ei- das Rentnerehepaar hat weder rem Saxophon sofort los. Ihre Von Allen Toussaint (77) Stufe lauter und härter als die ner Kolonne fest, die sich nur Bananen, noch Salat oder Wie- Stimme war ihr zweites Instru- brauchte es nur einen Ton und von Baker. Wie richtige Rocker schrittweise bewegte, immer nerli und wird wohl die nächste ment. Zusammen mit ihren fünf er entfachte beim Publikum ein standen die inzwischen schon dann, wenn ein Auto das Park- Woche den örtlichen Mahlzei- Musikern machte sie Betrieb loderndes Feuer. Er ist nicht älteren Herren auf der Bühne. haus verliess. Schön, zumin- ten-Dienst in Anspruch neh- auf der Bühne. Sie hüpfte, ging nur im Jazz zu Hause. Auch Die Band kam aber nicht mehr dest hatte ich genug Zeit, dar- men. Ich habe mittels Han- hin und her und riss das Publi- Pop und Rock gehören in sein an ihre grossen Zeiten heran. über nachzudenken, wie ich es dy-Ortung meine Frau wieder- kum, das schon vor der Bühne Repertoire. Er bedankte sich Sie spielten ihre Hits aus den anstelle, unter 350 Parkfeldern gefunden, im Einkaufswagen tanzte, noch mehr mit sich. Die beim mit «Thank you for having achtziger Jahren und unterhiel- genau jenes zu finden, das bei befindet sich mittlerweile auch Lady aus Amsterdam zog ihre us». Leider verstarb Toussaint ten damit 70 Minuten lang. meiner Einfahrt frei geworden Butter, aber noch keine Ad- Show durch, ohne Pause, sei es nur drei Tage nach seinem Bas- ist. Ich entschied mich dafür, vents-Dekoration. Aber wir wol- mit Gesang oder einem minu- ler Auftritt in Madrid. Die Session 2015 war wieder zu warten, bis jemand mit sei- len das Glück nicht herausfor- tenlangen Saxophonsolo, und von hoher Qualität. Schade nem Auto ein Parkfeld verliess. dern, haben wir es doch mit ein begeisterte vollkommen. Roger Cicero läutete einen war einzig, dass die Türen wäh- Dumm nur, dass rund ein Dut- paar blauen Flecken, einigen Abend für Jazzliebhaber ein. rend den Auftritten nicht ge- zend weitere Autos vor und hin- Beschimpfungen, und vielen Die in Deutsch gesungenen Lie- Der in Hamburg lebende Deut- schlossen bleiben. Zu spät ge- ter mir die gleiche Strategie ge- bösen Blicken, aber ohne grö- der von Philipp Poisel (32) sind sche wollte schon lange ein Pro- kommene Besucher trampelten wählt hatten. Immerhin, nach ssere gesundheitliche Schäden sehr textlastig. Seine Musik be- gramm mit englischen Songs auf den lauten Holzböden he- rund 15 Minuten Wartezeit bis zur Kasse geschafft. Hurra, gleitete die feinfühligen und machen. Für Jazzliebhaber war rum, bis sie ihren Platz ge- wurde direkt vor mir ein Park- wir haben überlebt. melancholischen Worte und sein Konzert ein Genuss. Es war funden hatten oder der Saal feld frei. verstärkte die Stimmung. Poi- ein Abend zum Augen schlie- wurde mitten im Konzert ver- Also, liebe Leserinnen und sel erzählte Geschichten von ssen, Zuhören und Geniessen. lassen. Und wenn dann end- Angekommen im Einkaufscen- Leser, wenn Sie ein richti- Liebe, Melancholie und Trau- Gregory Porter ist der Mann lich Ruhe einkehrte riss sicher ter schaue ich meiner Frau in ges Abenteuer erleben wollen, rigkeit. Sein Gesichtsausdruck mit der schwarzen Mütze. Mit ein Tischnachbar geräuschvoll die Augen und hier sehe ich dann besuchen sie einfach am passte dazu und so wurden geschlossenen Augen sang der eine Chipstüte. Bei einem Ten- bloss Dutzende von Einkaufs- nächsten Samstag über Mittag seine Töne und Texte durch das Bariton seine Geschichten. Er nismatch oder bei anderen Kon- wagen, die sich wiederspie- ein Einkaufscenter. Ich verspre- Bild ergänzt. Mit «Dankeschön war ruhiger, langsamer und lei- zerten wäre dies undenkbar. So geln. Wie war das doch gleich che Ihnen, das wird ein Wahn- Basel fürs Lauschen» verab- ser als Cicero. Seine Stimme werden besonders feine Töne, mit dem entspannten Einkaufs- sinns-Spass… schiedete er sich. klang intensiv und durchdrin- wie etwa bei Philipp Poisel, er- bummel? Ohne Worte haben Mit Paolo Nutini betrat ein ganz gend. Seinen schönen Jazzge- heblich gestört. ich mich mit meiner Frau dar- anderes Kaliber die Bühne. Der sang ergänzten seine vier Musi- auf geeinigt, die Taktik zu än- Schotte drehte die Lautspre- ker perfekt. dern: Auf in den Kampf lautete Walter Ryser cher von leise auf laut und be- Fotolink: nun das Motto für unseren Wo- Redaktioneller Mitarbeiter gann mit rockigem Soul. Dazu Until the Ribbon Breaks zauber- www.fotoshopper.ch cheneinkauf. Von hinten fährt kamen ein paar Prisen Reggae. ten mit einer Vielzahl von In- mir jemand mit dem Einkaufs- Auch seine leiseren und sanfte- strumenten elektronische und wagen in die Wade, vorne ver- ren Songs wurden vom Publi- sphärische Klänge in den Kon- Beat Eglin suche ich vergeblich Butter zu HHH kum applaudiert. zertraum. Die lauten Tieftöne
   1   2   3   4   5   6   7   8